Der chinesische Markt überschwemmt seit einigen Jahren den Westen mit Produkten und Dienstleistungen. War China einst ein günstiger, aber zuverlässiger Lieferant für namhafte europäische und amerikanische Konzerne, die diese Produkte mit eigenem Branding teuer weiterverkauften, bietet China seine Waren inzwischen zunehmend direkt den Verbrauchern an – zu sehr niedrigen Preisen. Die Temu-Strategie war also einfach: Verkaufe so viel wie möglich Massenware zum ganz kleinen Preis und sammle damit vor allem eines: Daten!
Marken wie Shein, Temu und Co. sind deshalb vielen Unternehmen und Verbraucherverbänden ein Dorn im Auge. Wird Temu dadurch zunehmend „nahbarer“?

Wie alles begann…
Temu startete im September 2022 in den USA und begann 2023 auch schrittweise seinen Markteintritt in Europa. Mit unschlagbaren Preisen, aggressivem Marketing, schrillen Farben, einem Überangebot an Produkten, Gamification-Ansätzen, Glücksrädern und vielem mehr eroberte Temu im Handumdrehen die westliche Schnäppchenjäger-Gesellschaft. Diese Temu Strategie hat dazu beigetragen, den Wert und die Mechanismen des Online-Shoppings neu zu bewerten.
Schnell begannen hitzige Diskussionen über Qualität, Zuverlässigkeit, Produktsicherheit, Verbraucherschutz und Regulierung. Nach bisherigen Erfahrungswerten, soweit bekannt, sind die Rückmeldungen überwiegend positiv. Besonders gemischt fällt jedoch die Bewertung hinsichtlich Schadstoffen oder Sicherheitsstandards bei elektronischen Geräten aus – vermutlich aus gutem Grund.
Zollpolitik der USA
Es ist kein Geheimnis, dass der ehemalige US-Präsident Trump hohe Zölle eingeführt hat, die auch China und somit Temu treffen. Die Billigplattformen Temu und Shein mussten deshalb ihre Preise erhöhen. Da Billigshops jedoch empfindlich auf Preiserhöhungen reagieren, tut Temu verständlicherweise alles, um mögliche Umsatzeinbußen durch US-Zölle auszugleichen.
Deshalb konzentriert sich Temu verstärkt auf den europäischen Markt.
Der europäische Markt
Zölle sind aktuell für viele Staaten ein Thema, doch Europa verhält sich gegenüber China vergleichsweise entspannt. Deshalb ist dieser Markt besonders interessant für Temu.
Bereits ab 2024 wurden Lagerhäuser in EU-Staaten aufgebaut, um möglichst viele Versand- und Rückversandprozesse innerhalb der EU abzuwickeln. Auch gewisse Gebühren wurden für Händler aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden oder dem Vereinigten Königreich erlassen. So schafft Temu Anreize, damit sich auf dem umstrittenen Marktplatz ausreichend Händler ansiedeln, die zur Lokalitäts-Strategie passen.
Shoppingfeed für Shops
Seit Mitte 2024 ist der Temu-Marktplatz für europäische Händler geöffnet. Bisher konnten Produkte via CSV-Import, direktem Einstellen bei Temu oder über eine ERP-Schnittstelle wie PlentyOne gelistet werden. Mit Shoppingfeed soll nun eine direkte Synchronisierung der Produktdaten aus Shopsystemen möglich sein.
Das erleichtert Händlern den Zugang zum globalen Markt. Technisch ist mit der E-Commerce-Plattform Shoppingfeed der Weg geebnet.
Lokalität als Temu Strategie
Eine weitere Temu Strategie setzt bei seiner Europa-Expansion zunehmend auf lokal produzierte Waren. Produkte mit regionalem oder nationalem Ursprung werden von Käufern oft mit Qualität, Vertrauen und sozialer Verantwortung assoziiert. Studien aus dem Handels- und Konsumpsychologiebereich zeigen, dass Hinweise wie „aus Ihrer Region“ oder „Made in Germany“ Kaufentscheidungen positiv beeinflussen – selbst wenn objektiv günstigere Alternativen existieren. Käufer empfinden lokale Produkte als frischer, nachhaltiger und glaubwürdiger.
Diese psychologische Wirkung nutzt Temu gezielt: Neben günstigen Massenartikeln aus China bietet Temu auch bekannte regionale Marken und Lebensmittel aus Deutschland, Frankreich oder Italien an.
Fun Fact: Lokalität wirkt nicht nur im unmittelbaren geografischen Umfeld. Auch Produkte aus anderen Regionen – etwa Schweizer Schokolade oder spanische Chorizo – können als besonders hochwertig wahrgenommen werden, wenn sie für Qualität und Authentizität stehen. Temu kombiniert diesen Effekt geschickt und verbindet europäische Vielfalt mit internationalem Preisversprechen.
Temu legt „Regionalität“ sehr europäisch aus… Erwartet also nicht unbedingt das Rindersteak vom Bauern um die Ecke, wenn ihr es bei Temu bestellt. 🙂
„Lokale“ Lebensmittel auf Temu
Snacks, Süßwaren, Grillfleisch oder Softdrinks sind bereits auf Temu erhältlich. Besonders im Fokus scheinen jedoch „lokale“ Lebensmittel zu stehen.
Mit Lebensmitteln erschließt Temu einen neuen Markt und steigert sein Umsatzpotenzial. Das klingt vielversprechend – doch reicht das für einen chinesischen Konzern als Motivation, eine potenziell herausfordernde und unbekannte Diversifikationsstrategie zu verfolgen, wenn gleichzeitig nur mit moderatem Wachstum auf einem bereits gut gesättigten Markt zu rechnen ist?
Möglicherweise steckt mehr dahinter: Lokalität suggeriert Nähe, Verbundenheit, höhere Qualität, unterstützt Umwelt- und Nachhaltigkeitsargumente und vermittelt Zugang zu Spezialitäten.
Vielleicht verfolgt Temu hier auch eine Trading-up-Strategie. ¯_(ツ)_/¯